27. Januar 2015
Interview mir Schwester Nazek Matty, die im März 2014 in den Irak zurückkehrte


MWI: Im März 2014 sind Sie in Ihr Heimatland Irak zurückgekehrt. Welche Situation haben Sie dort vorgefunden?

Schwester Nazek: Als ich im Irak ankam, war ich sehr froh, wieder mit meinen dominikanischen Mitschwestern und meiner Familie vereint zu sein. Die Umstände vor Ort waren noch nicht gänzlich entschieden, aber wie andere irakische Christen hoffte ich, dass sie sich bessern wür¬den. Nach wenigen Wochen wurde ich angefragt, einen Einführungskurs in das Neue Testament am Katholischen Zentrum in Karakosh (etwa 30 km von Mosul) zu geben; gleichzeitig wurde mir angeboten, als Lektorin am Babel College in Erbil zu arbeiten. Ich war sehr froh, dass die Dinge so verliefen, wie ich es mir erhofft hatte.

Doch dann wurde alles anders.

Der Sommer kam mit großen Schwierigkeiten in den Irak, die alles zusammenbrechen ließen. Der ISIS kam nach Mosul und besetzte die Stadt am 9. Juni und wir mussten einer neuen Realität ins Auge sehen: unser Dasein als irakische Christen war sehr gefährdet. Dennoch blieben wir in unseren Städten in der Ninive Ebene und hofften mit den anderen Zurückgebliebenen auf die kurdische Regierung, die versprach, uns zu beschützen und ISIS nicht in unsere christliche Städte zu lassen. Wir glaubten ihnen.

Doch am 6. August zog ISIS in Karakosh ein. Wir mussten die Stadt fluchtartig verlassen und konnten kaum etwas mitnehmen, da in den Autos kein Platz war. Wir verließen das Kloster um 23.30 Uhr. Es war ein Exodus. Alle Straßen waren überfüllt und wir brauchten neun Stunden bis nach Erbil normalerweise ist es ein Weg von einer Stunde. Wir Schwestern wurden auf verschiedene Flüchtlingslager verteilt, um den Menschen zu helfen.

Ich selbst ging zusammen mit einer anderen Schwester zu einer Schule, in der 70 Familien untergebracht waren. Auf einmal war ich dafür verantwortlich, Essen, Bettzeug und Kleidung für die Menschen bereitzustellen. Ich dach¬te die ganze Zeit darüber nach, wie Jesus es geschafft hatte, für tausende von Menschen Essen in der einsamen Gegend bereitzustellen. Da realisierte ich, dass unsere christliche Gemeinschaft biblische Zeiten durchlebt. Die Menschen sind hungrig, durcheinander, geschwächt und gedemütigt - wir brauchen dringend den Erlöser!

Wie ist es Ihnen weiter ergangen? Konnten Sie trotz der Angriffe einige Ihrer Vorhaben umsetzen? Am 7. Oktober begann ich, am Babel College zu unterrichten. Ich bot zwei Kurse an: Einführung in die Bibel und Einführung in Historische Bücher. Zudem wurde ich gefragt, auch eine Einführung in das Neue Testament an einem affiliierten Institut zu geben. Es war nicht einfach, von der Arbeit in einem Flüchtlingslager auf die Arbeit an einem College umzuschalten. Ich musste recherchieren und Unterricht vorbereiten und war doch selbst ein Flüchtling. Was es noch schlimmer machte, war die Tatsache, dass ich alle meine Bücher zurückgelassen hatte, da ich sie während der Nacht der Flucht nicht mitnehmen konnte.

Auf der einen Seite stand ich vor den Studenten, um über die Bibel zu sprechen. Auf der anderen Seite fragte ich mich jeden Tag: "Gott, warum hast Du uns aufgegeben?"

Doch ich fühlte auch eine Zeit der Gnade. Wir waren Auge in Auge mit Gott. Wir fühlten uns total leer und wir beteten zu ihm, uns zu helfen, seinen Willen zu verstehen.

Im Moment lebe ich in zwei komplett unterschiedlichen Gemeinschaften: Eine verdrängte Gemeinschaft, die dringend Hilfe braucht und hungert und eine zweite Gemeinschaft, die hungrig ist, das Wort Gottes besser kennenzulernen und zu verstehen. Ich bete zu Gott, dass er mir ermöglicht, eine Brücke zwischen diesen beiden christlichen Gemeinschaften zu sein.

Möge Gott Sie und Ihre Mitmenschen im Irak beschützen. Danke für das Gespräch.